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Bedeutung von Kunst und Kultur für eine nachhaltige Entwicklung für Städte und Regionen

Zu diesem Thema hat das Kulturbüro der LAG Soziokultur & Kulturpädagogik Rheinland-Pfalz in Kooperation mit dem ISSO Institut Koblenz und der Landeszentrale für Umweltfragen am 22.März 2018 in das Dreikönigenhaus Koblenz zu einer Tagung eingeladen. Das Interesse war groß und nicht alle Anmeldungen konnten berücksichtigt werden.

Kunst und Kultur im Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung – was kann damit gemeint sein? Interessiert lauschten die Teilnehmer*innen, die aus einem weiten Umkreis angereist waren, den beiden Eröffnungsvorträgen der Referenten: Dr. Oliver Parodi, Geschäftsführer des Zentrum Mensch und Technik in Karlsruhe, und Davide Brocchi, Initiator der Bewegung „Tag des guten Lebens“ in Köln.

Herr Parodi stellte in seinem Vortrag „Von der Unkultur und nachhaltiger Stadtentwicklung“ zunächst kurz klar, dass er in diesem Zusammenhang den Kulturbegriff erster Ordnung zugrunde legt. Jener Ordnung also, die sich aus dem Wechselspiel von Kollektiv und Individuum bildet und in sog. Konventionen festgeschrieben ist. Solche Konventionen bilden den Kit der Gesellschaft, der zur dauerhaften Aufrechterhaltung des Kollektivs sorgt.

Unsere derzeitige Unkultur nahm Herr Parodi in einem kurzen Überblick vieler aktueller Themen unter die Lupe wie bspw. der Umweltproblematiken, bewaffneter Konflikte oder der Fluchtbewegungen. Er machte aber auch deutlich, dass jeder Einzelne im persönlichen Umfeld durch eine Unkultur betroffen ist, wie etwa durch die Auswirkung von Stress, eine Entfremdung in der Arbeitswelt oder die negativen Auswirkungen von Digitalisierung und Mobilität. All dies wirkt sich negativ auf die Lebenssituationen und die Gesundheit von Menschen aus. „Die heutige (globale) Lebens‐ und Wirtschaftsweise führt in die Katastrophe“, so sein Fazit.

Das Thema Nachhaltigkeit ist schon seit Jahrzehnten im Fokus. Es ist viel debattiert und auch festgehalten worden, jedoch ohne durchgreifende Umsetzung. Heute so zu leben, dass auch nachfolgende Generationen noch ausreichende Ressourcen und intakte Lebensumstände vorfinden, leuchtet uns zwar vom Verstand her ein, unsere innere Haltung und unsere mentale Programmierung, so Herr Brocchi im Anschluss an Oliver Parodi, sind eine andere.

Brocchi stellte in seinem Vortrag den Begriff der Nachhaltigkeit mit dem Begriff der Resilienz gegenüber und brachte beide mit dem Umgang von Krisen und der Definition von Wohlstand und gutem Leben in Verbindung. In der westlichen Welt sind Wirtschaftswachstum, Massenkonsum und Steigerung des Bruttoinlandsprodukts Voraussetzungen für gutes Leben. Als Gegenentwurf nennt er beispielhaft Ecuador und Bolivien. In diesen Ländern ist das Buen Vivir, also das gute Leben, in der Grundverfassung verankert. Dort ist die Politik einer Regierung gut, wenn sie für ein gutes Leben für möglichst viele Menschen im Gleichgewicht mit der Natur sorgt, statt alles auf mehr Wirtschaftswachstum auszurichten.

Der Referent greift auf den niederländischen Psychologen und Kulturwissenschaftler Geert Hofstede zurück, der Kultur als die „Art und Weise, wie Menschen in einer Gruppe mental programmiert werden“ betrachtet. Die „mentale Programmierung“ findet vor allem in unseren kulturellen Institutionen statt: in Schulen und Hochschulen, Massenmedien, Wissenschaftsinstitutionen, aber natürlich auch durch die Künste. Diese kann niemals wertfrei sein und beeinflusst immer auch die gesellschaftliche Entwicklung, was gut aber auch schlecht sein kann. Hofstede sieht hier als wichtige Voraussetzung für Nachhaltigkeit einen Kulturwandel und eine Kulturkritik. Der Kulturwandel, den Nachhaltigkeit, soziale Integration oder eine Stärkung der Demokratie brauchen, kann aus den Künsten, aus den Universitäten oder aus den soziokulturellen Zentren ausgehen und auch durch sie enorm gefördert werden.

Auch in Deutschland wird gutes Leben mit den Begriffen Entschleunigung, Entflechtung (Raumwohlstand, z.B. mehr Freiräume und Gemeinschaftsräume in unseren Städten), Entrümpelung (weniger materieller Ballast in unserem Leben) und Entkommerzialisierung verbunden. Dennoch sind wir weit davon entfernt, diesen Paradigmenwechsel in langsamer, näher, weniger, persönlicher“ statt „schneller, globaler, mehr, kommerzieller“ zu vollziehen.

Wie sehr ein gebotener Freiraum Menschen zur Umsetzung von Entschleunigung, Entflechtung, Entrümpelung und Entkommerzialisierung antreibt, beweist Davide Brocchis Vorstellung seines Projekts „Tag des guten Lebens“ am Nachmittag des Fachtags. Dieses Projekt wurde durch ihn 2013 in Köln-Ehrenfeld initiiert. Das Konzept klingt auf den ersten Blick sehr einfach: Das Initiatorenteam schafft in Absprache mit der Stadtverwaltung einen autobefreiten Freiraum in Ehrenfeld, den einen Tag lang Anwohner und Vereine nach den eigenen Wünschen nutzen und gestalten dürfen. In vorherigen Informationsabenden wurden alle Ehrenfelder informiert, auch über die drei Regeln, die dieser Freiraumnutzung auferlegt wurden: 1. Alle parkenden Autos müssen selbstständig weggefahren werden, 2. Anwohner und Vereine müssen sich selbstständig organisieren und zusammentun in ihrem Angebot und 3. Es darf im Freiraum nichts verkauft oder gekauft werden. Der Erfolg seiner ersten Veranstaltung war enorm. Nicht nur aus Ehrenfeld, sondern auch aus anderen Stadtteilen kamen Menschen, um Teil dieses Tages zu sein. Im Anschluss an seinen Vortrag wurde in zwei Kleingruppen diskutiert, wie ein solches Konzept entweder auf den ländlichen Raum bzw. auf ein städtischen Umfeld umgesetzt werden könne, je nachdem aus welchen Umfeld die Teilnehmer persönlich kamen.

Im zweiten Workshop des Nachmittags stellte Oliver Parodi sein Projekt, „Quartier Zukunft – Labor der Stadt“ vor. Hierbei geht es um die (Neu-)Gestaltung des Karlsruher Stadtteils Oststadt. Die zentrale Frage dieses Projekts ist, wie können wir heute und morgen in der Stadt gut leben – und dabei Mitwelt, Umwelt und Nachwelt achten? Während viele Menschen beim Thema Nachhaltigkeit vor allem an Verzicht oder Effizienz denken, geht es bei „Quartier Zukunft – Labor Stadt“ um das Schaffen neuer Lebensqualitäten. Menschen entwickeln eine Kultur der Nachhaltigkeit, die im Fühlen, Denken und Handeln ihren Ausdruck findet. Basis dafür ist ein Nachhaltigkeitsverständnis, das eine globale, generationenübergreifende Gerechtigkeit ins Zentrum des Handelns stellt. Beispiele für nachhaltigkeits-Projekte, die sich innerhalb des Stadtteils gebildet und etabliert haben, sind Spieleabende, Kleidertauschbörsen, Workshops, Diskussionsrunden, Stammtische oder Urban Gardening.

Wurde von Brocchi am Vormittag noch sehr theoretisch auf Hofstedes Kritik der mentalen Programmierung referiert, wird am Nachmittag umso greifbarer, wieso Kulturwandel von kleinen Institutionen auf der einen Seite, aber auch von jedem Individuum selbst auf der anderen Seite ausgehen kann. Nachhaltigkeit ist ein Prozess, der individuelle und kollektive Lernprozesse voraussetzt. Grundvoraussetzung hierfür ist die eigene Fähigkeit des Hinterfragens. Insbesondere auch auf dem Bereich der Kultur, dem Kit der Gesellschaft. Wenn ein Kit seine kohäsive Wirkung entfalten soll, muss er aus den zu verbindenden Elementen, also den Mitgliedern einer Gesellschaft, selbst entstehen, was jeden Menschen zum Kulturträger macht.

Autorin: Margret Staal